Das F-Wort neu definiert

Was wir über Feminismus denken

Brief an mein jüngeres Ich

von Florentine Schmidt

Liebe Florentine,

du bist zwar noch ein Kind, aber trotzdem merkst du, dass nicht alle Kinder von den Großen vollkommen gleich wahrgenommen und behandelt werden. Es gibt in deiner Welt Jungs und Mädchen. Manche der anderen Mädchen sagen, dass es eklig ist mit Jungs zu spielen. Naja, nicht so schlimm, du bist ja eigentlich ganz zufrieden mit deinen Puppen und Prinzessin spielen kann man mit Jungs ja eh nicht. Trotzdem schielst du manchmal neidisch zu den Jungs rüber, wenn sie Banden bilden und wild durch den Wald rennen. Ich wünschte, dass ich heute zu dir kommen und dir sagen könnte, dass Jungs keine ekligen Aliens sind, sondern eben auch nur ganz normale Kinder, die gerne spielen und manche von ihnen spielen sogar sehr gerne Prinzessin. Eigentlich würde also nichts dagegen sprechen mit dem Anbieten einer Rolle Hubba Bubba Kaugummi das Eis zu brechen und danach gemeinsam eine Prinzessinnen-Ritter-Waldaction-Bande zu bilden.

Und du kannst übrigens problemlos „Jungs-Sachen“ haben. Ob du dich für die rosa Hello-Kitty Edition oder die blaue Auto-Edition der Wundertüte entscheidest, kannst du vollkommen frei entscheiden, es ist nicht wichtig, dass auf der einen „Für Mädchen“ draufsteht und auf der anderen nicht. Wie auch immer; ich weiß sowieso, dass du eigentlich keine von beiden willst, sondern am glücklichsten mit einer gelben Wundertüte mit Blumen und Marienkäfern drauf wärst. Muss immer alles in rosa und blau getrennt werden? Ich glaube nicht.

Du bist jetzt eine Teenagerin und ich weiß, dass du ziemlich verwirrt bist. Plötzlich muss man cool sein und die Jungs sind auf einmal gar nicht mehr so eklig wie sie früher waren. Ganz im Gegenteil, sie sind eigentlich ziemlich interessant und du versuchst alles um vor allem diesem einen Jungen aus deiner neuen Klasse aufzufallen. Denn du bist total verknallt. So wie deine Freundinnen auch. In der Pause steckt ihr kichernd eure Köpfe zusammen und schielt rüber zum Fußballfeld, während ihr dramatisch die Haare nach hinten werft und das Lipgloss nachzieht. Ich weiß, dass du dich sehr unsicher fühlst. Die anderen Mädchen sehen alle schon viel weiblicher aus und selbst der Push-Up-BH kann über deinen kindlichen Körper nicht wirklich hinwegtäuschen. Diese blöde Frage einer deiner Klassenkameradinnen („Wow dein Handgelenk ist soooo dünn, da kann ich total leicht rumfassen. Bist du magersüchtig?“) hilft da natürlich auch nicht gerade. Ich will dir an dieser Stelle sagen, dass du dich nicht mit den anderen vergleichen musst. Alle Mädchen entwickeln sich unterschiedlich schnell und jede ist auf ihre Art und Weise wunderschön. Und wenn du dich als Mädchen fühlst, dann bist du das auch. Weiblichkeit wird nicht über große Brüste definiert. Ich wünschte, dass du deinen Körper schon so lieben könntest, wie ich es heute tue.

Generell ist die Frage nach dem Aussehen bei dir ganz weit oben auf der Liste der wichtigen Themen. In deinen Zeitschriften verfolgst du jeden Trend. Ob es nun um Klamotten oder Schminke geht, du bist ganz vorne mit dabei. Über die Jahre hast du dein Interesse an Kleidung und Schminke nicht verloren, aber von früher zu heute gibt es einen wichtigen Unterschied. Mittlerweile trage ich das, was mir wirklich gefällt und nicht zwanghaft das, was „In“ ist. Es ist übrigens auch nicht schlimm, wenn du morgens mal länger schlafen willst und dafür das Schminken ausfallen lässt. Ich weiß doch, dass du kein Morgenmensch bist und glaub mir: Du siehst auch ohne Schminke gut aus! Du musst dir wirklich nicht so einen Stress wegen deines Aussehens machen.

Einmal hast du morgens im Bus auf dem Weg in die Schule bemerkt, dass du beim Beine rasieren eine Stelle übersehen hast. Du wolltest am liebsten im Erdboden versinken. Was wenn der süße Junge aus deiner Klasse das sehen würde? Mittlerweile schreibt ihr miteinander und ab und zu schickt er sogar ein Herzchen-Emoji. Eine unrasierte Stelle an den Beinen könnte alles zerstören! Wenn ich heute an diesen Gedankengang zurückdenke, dann kommt mir das ganze unglaublich absurd vor, doch ich will dir deine Gefühle auf gar keinen Fall kleinreden. Ich weiß, dass dieser Moment für dich wirklich belastend war. Dennoch will ich dir gerne sagen: Entspann dich mal! Erstens wird es ihm eh nicht auffallen und zweitens ist er es nicht wert, wenn er tatsächlich ein Problem mit der kleinen Stelle Haare an deinen Beinen hat.

Naja, wie auch immer, es ist ihm anscheinend tatsächlich nicht aufgefallen und jetzt habt ihr bald ein ganz offizielles Date. Um dich darauf vorzubereiten, liest du dir jeden Jungs-Tipp den du in deinen Zeitschriftenfinden kannst nochmal ganz genau durch. Doch das ist ganz schön verwirrend! Einerseits sollst du du selbst sein, damit du natürlich rüberkommst. Denn Jungs mögen keine unnatürlichen Mädchen. Deshalb auch bitte nicht zu viel Schminke. Aber so gar keine Schminke natürlich auch nicht, das würde ungepflegt aussehen. Generell sollst du gepflegt aussehen und gut riechen, denn die Jungs sollen ja merken, dass sie mit einem Mädchen unterwegs sind und nicht mit einem ihrer Fußballkumpel. Aber zu viel Mädchen sein ist auch nicht gut. Zeig ihm mit deinen Witzen und vor allem damit, dass du elanvoll einen ganzen Burger verdrücken kannst, dass du keine Tussi bist. So geht es seitenweise weiter und irgendwann weißt du gar nicht mehr wer oder was du bei eurem Date eigentlich sein sollst. Zum Abbau der Aufregung trägt sowas leider auch nicht bei. Statt dieser stressigen Zeitschriften hätte ich dir diesen Rat gewünscht: Sei du selber und das reicht. Du musst dich nicht verstellen, du musst vorher keine an ihn angepassten Themen auswendig lernen. Du bist ein verdammt kluges und spannendes Mädchen und wenn ihn das nicht überzeugt, dann wird bald ein anderer kommen, der dich wirklich wertzuschätzen weiß. Und nochmal: Du siehst gut aus! Wirklich! Zieh dich gerne hübsch an und schmink dich, aber tu es für dich und nicht für ihn.

Und jetzt nochmal ein ganz anderes Thema, zu dem ich dir gerne etwas sagen will: Fass dir ein Herz und steh auf, wenn du Mobbing siehst. Du selbst bist nicht davon betroffen und das freut mich sehr für dich! Und ich weiß, dass du niemals böswillig mitmachen würdest und ich weiß, dass es dich traurig macht, wenn du siehst, wie MitschülerInnen gemobbt werden. Trau dich was zu sagen! Du wirst daran wachsen und den betroffenen MitschülerInnen wird es sehr gut tun, zu sehen, dass sich jemand auf ihre Seite stellt. Ich weiß, sowas erfordert viel Mut, aber wenn du dir diesen Mut einmal gefasst hast und gegen die Dinge, die dich wütend machen, aktiv wirst, dann wird dir das eine nie dagewesene Stärke verleihen. Ich verspreche es dir.

Du hast die Schulzeit jetzt hinter dir gelassen und plötzlich läuft dir dieser Feminismus über den Weg. Sofort wirst du in seinen Bann gezogen und du merkst, dass du da einer ganz großen Sache auf der Spur bist. Du beliest dich zu den radikalen Roten Zoras in den 70ern und schaust dir Videos von unglaublich taffen Frauen an, die laut und stark gegen das Patriachat kämpfen. Was für Powerfrauen! Im gleichen Zuge melden sich jedoch leise Zweifel in dir. Du bist dir wieder einmal unsicher ob du so wie du bist, richtig bist. Solltest du nicht irgendwie cooler sein, wenn du dich wirklich als Feministin bezeichnen willst? Solltest du dir nicht irgendwie die Haare abrasieren und blau färben, die Beine jedoch nicht mehr rasieren und all deine Schminke feierlich mit deinen BHs verbrennen? Immer wieder stellst du dir diese Frage: Bin ich eine gute Feministin? Ordne ich mich nicht zu viel in die Unterdrückung des Patriachats ein, einfach weil ich gerne Kleider trage und manchmal sogar falsche Wimpern anklebe? Weil ich gerne Komplimente bekomme und ich immer noch die Disney-Prinzessinnen-Filme liebe?

Jetzt kann ich dir ganz klar sagen: Ja, du bist eine gute Feministin! Du kannst so feminin sein wie du willst. Feminismus und Femininität widersprechen sich nicht! Solange du dich nicht aus Gefühlen des Zwangs oder nur um anderen zu gefallen so zurechtmachst, sondern einzig und allein für dich und weil du dich so wohlfühlst, dann sag ich nur: YOU GO GIRL. Pack die High-Heels und das Kleine Schwarze aus, trag knallroten Lippenstift, falsche Wimpern und blende die Hater mit deinem Highlighter einfach weg. Stell dich vor den Spiegel und sag dir: Wow, da steht eine verdammt starke, intelligente und obendrauf verdammt heiße Frau!

Es ist übrigens okay, wenn du nicht alles über „den Feminismus“ weißt. Du kannst dich trotzdem als Feministin bezeichnen und fragen kostet nichts. Und wenn dir ein nerviger Typ auf Instagram erzählen will, dass du gar keine Feministin sein musst, weil es heutzutage in seinen Augen ja gar keine Geschlechterdiskriminierung mehr gibt, dann musst du nicht deine Kraft darauf verschwenden mit ihm zu diskutieren, wenn du das eigentlich gar nicht willst. Du musst dich nicht dafür rechtfertigen eine Feministin zu sein.

Abschließend will ich dir sagen, dass ich verdammt stolz auf dich bin! Du hast einen langen Weg hinter dir und es war nicht immer leicht, doch du bist zu einer starken und selbstbewussten Frau geworden. Ab und zu zweifelst du immer noch daran ob du alles richtig machst, ob du wirklich so stark bist und ob du wirklich zufrieden mit deinem Aussehen bist. Aber das ist okay. Solche Tage haben wir alle und diese Gedanken machen dich nicht kleiner. Ich bin unglaublich gespannt auf die, die du mal werden wirst und freue mich schon sehr darauf diese Powerfrau kennenzulernen.

Ich liebe dich!

Deine Florentine

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